Wann hat ein Linienbus, der von einer Haltestelle abfährt, Vorfahrt? – und wer haftet im Falle eines Unfalls?
Verkehrsteilnehmer, die mit ihrem Fahrzeug zum Beispiel von einem Grundstück, aus einem verkehrsberuhigten Bereich oder aus anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn fahren wollen, müssen die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen können. Dies gilt auch beim Anfahren vom Fahrbahnrand. Häufig müssen aber Fahrzeuge, die sich bereits im fließenden Verkehr befinden, einem Linienbus die Abfahrt von der Haltestelle ermöglichen und nötigenfalls warten (§20 Abs. 5 StVO). Doch wer haftet für den Schaden, wenn es trotzdem zu einem Unfall zwischen den Verkehrsteilnehmern kommt?
Das sog. Vorrecht von öffentlichen Verkehrsmitteln, gem. §20 Abs. 5 StVO besteht beim Anfahren nur dann, wenn eine rechtzeitige und ordnungsgemäße Anzeige gegenüber dem sonst fortbestehenden Vorrang des fließenden Verkehrs besteht (frühzeitige und deutliche Benutzung der Fahrrichtungsanzeiger).
Als ein PKW im November 2019 an einer Haltestelle, an der ein Bus hielt, vorbeifahren wollte, fuhr dieser in dem Moment auf die Fahrbahn. Noch beim Anfahren des Busses kam es zur Kollision der Fahrzeuge. Dabei entstand ein Schaden von 10.000 Euro.
Der Busfahrer behauptete zwar geblinkt zu haben, um das Einfahren auf die Fahrbahn anzuzeigen, konnte dies jedoch nicht beweisen.
Das OLG Celle entschied mit seinem Urteil, dass der Busunternehmer dem Halter des PKW den größten Teil seines Schadens ersetzen muss. Hat ein Linienbus nun Vorfahrt? Zwar müssen gem. §20 Abs. 5 StVO, die übrigen Verkehrsteilnehmer dem Linienbus die Vorfahrt einräumen, allerdings muss der anfahrende Bus rechtzeitig seine Fahrtrichtungsanzeiger verwenden und sich vergewissern, dass andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden (z.B. durch starkes Bremsen). Da der Busfahrer die Benutzung des Blinkers nicht nachweisen konnte, wurde ein grundsätzliches Verschulden des einfahrenden Busses vermutet.
Da das Kammergericht in Berlin in zwei früheren Entscheidungen jedoch die gegenteilige Auffassung vertrat, hat das OLG Celle die Revision zum BGH zugelassen.
Hinweis: Der Artikel stammt vom 16.03.2022. Durch Zeitablauf kann sich die Rechtslage geändert haben.